Betrachtung über eine Reise zum ökumenischen Kirchentag nach München

Edgar steht vor der Tür, da ist Vorsicht angesagt. Edgar ist immer für eine überraschende Idee gut. Wir reden ein wenig über dies und das und dann: "Kann man wohl mit dem Fahrrad nach München fahren, zum ökumenischen Kirchentag, in so ca. 6 Tagen?" Mit dieser Frage begann im Spätsommer 2009 eine Geschichte, die am 12. Mai 2010 in einem Gymnasium in München endete, nach gefahrenen 778,12 km mit 5500 Höhenmetern, nach einer gerissenen Kette, (gefühlt) einem Dutzend Löchern in verschiedenen Schläuchen, und einem sozialen Engagement der acht Teilnehmer, dass ca. 7.000,00 € für verschiedene förderwürdige Projekte einbrachte.

Soviel zu den harten Fakten! Wie Sie aus den wenigen Zeilen schon entnehmen können war das alles kein Zuckerschlecken. Gefragt waren, und das muss an dieser Stelle einmal so deutlich geschrieben werden, gefragt waren männliche Attribute wie: Ausdauer, zielorientiertes Handeln und Denken, Mut, Härte gegen sich selbst und die Mitfahrer, die Grundkenntnis des belgischen Kreisels, handwerkliches Geschick im Pannenfall, Pünktlichkeit, Kraft eine kleine Bodenwelle auch mal wegzudrücken, und der unbändige Wille die Aufgabe zu bewältigen, frei nach dem Motto eines bekannten Baumarktes 'Mach dein Ding'. Beim Weiterlesen werden Sie einen kleinen Einblick in die verwinkelten Tiefen einer Männerseele erhalten. Ich verspreche Ihnen aber kein chauvinistisches Gequatsche, vielmehr reale Männerwirklichkeit. Wer etwas für die Frauen tun will, muss nicht zuletzt die Männer verstehen. Und wir hatten sehr unterschiedliche Exemplare im Team. Den Ernährer einer Großfamilie; den ostwestfälischen Beamten aus Unna; den Rentner, der die 60 überschritten hat und vor dessen Leistung ich den größten Respekt habe; den hauptberuflichen Kirchenmann; einen Architekten mit dem Hang zum Theater spielen; den knapp 30-jährigen Kaufmann, der schon so viel ehrenamtliche Kirchenarbeit geleistet hatte, dass mir schwindelig wurde; einen polnischen Ringer vom Niederrhein; und einen dreifachen Opa in einem Alter, in dem man heutzutage überlegt, ob man seinen Stammhalter allmählich planen sollte oder doch lieber noch 10 Jahre wartet. Sie werden nun fragen: 'Und warum keine Frau, die hübsche Geschichten erzählen kann?' Na eben drum! Eine der ersten Bedingungen für das Unterfangen war: Wir Männer bleiben unter uns! Daraus leitete sich dann auch die Überschrift der Reise zum ökumenischen Kirchentag ab: Männer Machen Meilen. Unter vorgehaltener Hand machte zwar noch der Untertitel Frauen Fahren Fahrrad die Runde, aber ich finde, die darin liegende versteckte Botschaft geht dann doch etwas zu weit. Was Männern heute fehlt, nach gefühlten 50 Jahren Emanzipation, ist die maskuline Gruppenerfahrung mit Gleichgesinnten in Grenzsituationen des Lebens. Das 3:1 des BVB in der Schalke-Arena ist zwar auch eine nette Gruppen-, sicher aber keine Grenzerfahrung. Anders verhält es sich da schon, wenn die durch verschiedene widrige Umstände total auseinandergezogene Rad-Meute im strömenden Regen an den Ausläufern der Rhön-Höhen sicher per Mobiltelefon punktgenau zu einer Pizza-Döner-Bude navigiert werden muss. Die ehrliche Freude über jedes Mitglied des Rudels, dass den Weg gefunden hatte, wird man in einer spitzzüngigen weiblichen Aerobic-Truppe vermissen. Höchstleistungen entstehen nur in einem gesunden Konkurrenzkampf, in dem der Eine dem Anderen den Erfolg nicht neidet. Wenn nach 10 Kilometern bergauf hinter der nächsten Kurve das steile Finale der Königsetappe wartet und noch einmal alle Kräfte mobilisiert werden, nicht um der Erste zu sein, nein, nein, vielmehr um sich gegenseitig zu einer weiteren Spitzenleistung anzutreiben, entstehen genau in diesen Momenten wahre Männerfreundschaften. Das ist der Stoff, aus dem Geschichten sind, die einmal beginnen werden mit den Worten aus einem Mund, der in einem Gesicht mit glänzenden Augen, zu erzählen beginnt. "Weißt du noch damals die Bergankunft in der glühenden Nachmittagshitze...?" Aber meinen Sie bitte nicht, unterwegs ging es nur um Kraft und Köpfchen. Worum es wirklich ging will ich Ihnen verdeutlichen am Beispiel der dritten Etappe von Lauterbach nach Lohr am Main. Wie jeden Morgen haben wir uns draußen im Kreis zu einer kurzen Morgenandacht versammelt, unmittelbar vor der Weiterfahrt. Am Ende der Andacht steht auch heute, wie an jedem Morgen, die Ausgabe eines Aufklebers, gedacht zur Anbringung am Rahmen oder Lenker des Fahrrades; auf jeden Fall so, dass im Verlauf des Tages des Öfteren der Blick darauf fällt und idealerweise die Gedanken einen Moment bei dem Jesus-Zitat verharren: "Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten!" Wie auch immer der Einzelne damit umgegangen ist, welche Erkenntnis er gewonnen haben mag, das Wort Jesu hat uns begleitet, jeden Tag. Sechs Zitate, sechs Aufkleber, sechs Tage. Am Abend dann gewann ein Mitglied des Rudels eine Erkenntnis ganz anderer Art. Stellen Sie sich vor: Eine Flasche Weizenbier, davor ein Glas. Das Weizenbier wird in das schräg gehaltene Glas geschüttet. Männer Machen Meilen kurz vor den Toren von München Die Flasche leert sich, das Glas füllt sich. Mit Erstaunen stellt der älteste und somit lebenserfahrenste Teilnehmer fest: Da geht ja eine ganze Flasche in das Glas. Ich meine, das ist es doch, was uns Männer auszeichnet. Die Liebe zu einem wahren, ehrlichen Wort und dann die Fähigkeit selbst im hohen Alter noch etwas für das Leben zu lernen und dann in gemütlicher Runde ein volles Glas zu leeren. Anders ausgedrückt: Beten, nachdenken, lernen und feiern nach einem anstrengenden Tag, der uns durch unheimlich schöne Landschaften und abgelegene Radwege geführt hatte, ohne die übliche Hektik des Alltags, vielmehr mit der Muße alle Eindrücke aufzusaugen, zu konservieren und dabei über Gott und die Welt nachzudenken oder mit dem Nebenmann zu reden (und nicht der Nebenfrau zuzuhören). Unterwegs begegnen einem natürlich auch Menschen. Da gibt es Wesen (die Teilnehmer wissen , wen ich meine) und da gibt es Menschen, die haben ein richtiges Herz. In der Jugendherberge Feuchtwangen hatten wir für 18 Uhr das Abendessen bestellt. Um 18:30 ist die Küche üblicherweise geschlossen. Allerdings gab es einige widrige Umstände auf dem Weg von Lohr nach Feuchtwangen, nicht zuletzt die vielen 157 km, die dazu führten, dass wir uns um 2,5 Stunden verspäteten. Über Mobiltelefon hatten wir das der JH zwar gemeldet, aber wir sahen uns schon auf der Suche nach einer Pizzeria, um am Abend noch Nahrung zu uns zu nehmen. Wie beeindruckt und freudig überrascht waren wir dann, als uns ein opulentes Abendessen mit gefühlten 50 Frikadellen, Nudeln, Reis, Salat und Soße erwartete, dass diejunge, resolute Herbergsfee für uns Spätankömmlinge hatte warm stellen lassen. Ich meine, das sind doch genau die Erfahrungen, die man mitnimmt. Begegnungen mit Menschen, die nicht einfach ihren Job machen, sondern die ein Herz an einer ganz besonderen Stelle haben, am rechten Fleck nämlich. Und so könnte ich weiter schreiben von kleinen Begegnungen und Anekdoten, wie der Asiatin die ein Foto von uns machen wollte, für ihren Mann, der zu Hause auch Fahrrad (!) fährt, oder dem schwarzen Loch in der Mauer bei Donauwörth. Im Grunde aber habe ich alles geschrieben, was den Geist unserer Männer- Machen-Meilen-Tour wiedergibt. Es reicht Ihnen nicht? Lesen Sie einfach zwischen den Zeilen, dann wissen Sie, worum es ging.

Aber der Kirchentag fragen Sie, was hat das denn eigentlich alles mit dem ökumenischen Kirchentag zu tun? Nun das will ich Ihnen unverblümt aufschreiben: Nichts, eigentlich gar nichts. Und doch waren die sechs Tage im Sattel mein persönlicher Kirchentag. Die Radtour war der Weg, der Kirchentag das Ziel, aber bekanntlich ist der Weg sehr häufig das Ziel. Ach ja, was wäre eine Geschichte ohne happy-end, gerade für den weiblichen Leser. Also, als wir dann nach zehntägiger Abwesenheit wieder zu Hause waren, hat sich ein Jeder sehr gefreut, die Frau seines Herzens wieder in die Arme zu schließen. Ehrlich! Nur bei Edgar war das anders. Seine Frau hat er bereits in München in den Arm nehmen können. Cleverer Typ! Wie eingangs erwähnt, Edgar ist immer für eine Überraschung gut.

Detlef Angersbach